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Die Wissenschaft der guten Entscheidungen: Warum weniger Denken manchmal klüger ist

  • Autorenbild: Dominique Giger
    Dominique Giger
  • 19. Okt.
  • 4 Min. Lesezeit
Leuchtendes Gehirn mit Pfeilen nach links und rechts. Umgeben von elektrischen Blitzen auf schwarzem Hintergrund, futuristisch und energiegeladen.
Das Bild eines leuchtenden Gehirns mit Richtungsanzeigern verdeutlicht, dass die meisten Entscheidungen unbewusst getroffen werden.

Einleitung

Führungskräfte gelten als rationale Entscheider:Innen. Sie wägen ab, kalkulieren Risiken und treffen Entscheidungen auf Basis von Erfahrung und Daten. Doch die Neurowissenschaft zeigt ein anderes Bild: Nicht rationales Denken, sondern Energiehaushalt, unbewusste Muster und mentale Ermüdung bestimmen, wie wir entscheiden. Wer die Mechanismen des Gehirns versteht, trifft nicht nur bessere, sondern auch gesündere Entscheidungen.


Das Gehirn - der grösste Energiefresser im Körper

Das menschliche Gehirn macht nur etwa 2 Prozent des Körpergewichts aus, verbraucht jedoch rund 20 Prozent der gesamten Energie. Jede Entscheidung, jede Abwägung kostet messbar Energie. Der Sozialpsychologe Roy Baumeister prägte dafür den Begriff der Decision Fatigue - Entscheidungsmüdigkeit.


In Experimenten zeigte er, dass Proband:Innen nach einer Serie von Entscheidungen signifikant weniger Selbstkontrolle zeigten, unüberlegt handelten oder Entscheidungen vermieden.


Mit anderen Worten: Je erschöpfter unser Gehirn, desto irrationaler unsere Entscheidungen.


Willenskraft ist keine Frage der Disziplin

Lange galt Willenskraft als Charakterfrage. Gemäss Baumeister ist sie aber eine begrenzte kognitive Ressource. Doch wie lange sie hält, hängt nicht nur von der Biologie ab, sondern auch vom Mindset.


Die Psychologin Carol Dweck zeigte in ihren Studien, dass Menschen, die glauben, Willenskraft sei unbegrenzt, tatsächlich länger performen und bessere Leistungen zeigen als jene, die an ihre Begrenztheit glauben.


Die Art, wie wir über uns denken, beeinflusst also direkt unsere neurobiologischen Systeme. Das ist eine Erkenntnis mit weitreichenden Folgen für Leadership, Selbstmanagement und Resilienz.


Selbstkontrolle vs. Selbstregulation

Wer in Stresssituationen produktiv bleiben will, muss den Unterschied zwischen Selbstkontrolle und Selbstregulation verstehen.


Selbstkontrolle bedeutet, einen kurzfristigen Impuls zu unterdrücken, wie zum Beispiel „Ich esse keinen Kuchen“.


Selbstregulation hingegen fragt nach der Ursache, wie zum Beispiel „Warum habe ich gerade Lust auf etwas Süsses?“.


Nur wer versteht, warum er reagiert, kann sein Verhalten langfristig steuern.

Baumeister beschreibt dazu vier Grundprinzipien:


  1. Standards: Welche Regeln setze ich mir selbst? z.B. «Nach 21 Uhr beantworte ich keine E-Mails mehr».

  2. Monitoring: Beobachte ich, wann ich abweiche?

  3. Willenskraft: Trainierbar wie ein Muskel, aber begrenzt.

  4. Purpose: Das „Warum“ verleiht Motivation und somit Durchhaltevermögen.


Vier Strategien für bessere Entscheidungen

Die Forschung kennt bewährte Methoden, um die Entscheidungsqualität zu erhöhen und mentale Energie zu schonen:


  1. Implementation Intentions („Wenn-Dann“-Pläne):

    Psychologe Peter Gollwitzer zeigte, dass klare Wenn-Dann-Regeln die Umsetzungschancen steigern (Gollwitzer, 1999, American Psychologist). Als Beispiel die Regel der Everest-Bergsteiger:Innen: „Wenn es nach 15 Uhr ist, drehe ich beim Aufstieg um; egal wo ich bin.“

  2. Triviale Entscheidungen eliminieren:

    Steve Jobs trug fast immer denselben schwarzen Rollkragenpullover und Barack Obama wechselte nur zwischen zwei Anzugsfarben, um Entscheidungskapazität für das Wesentliche zu sparen.

  3. Routinen:

    Gewohnheiten übernehmen Entscheidungen automatisch, wenn die Willenskraft erschöpft ist. Wenn man beispielsweise jeden Morgen joggen geht, wird es zur Routine, und man muss nicht jedes mal neu darüber entscheiden

  4. Organisation und Priorisierung:

    Tools wie To-do-Listen oder Kanban-Boards entlasten das Gehirn. Zudem erfolgt eine Dopamin-Ausschüttun nach jeder erledigten Aufgabe.


Ernährungpyramide für das Gehirn

Neurowissenschaftler David Rock empfiehlt im Healthy Mind Platter sieben mentale Energiequellen: Schlaf, Bewegung, Fokuszeit, Spiel, soziale Verbindung, Ruhe und Achtsamkeit. Wer sie pflegt, regeneriert seine kognitive Leistungsfähigkeit.



Das Unterbewusstsein trifft zuerst

Das Bewusstsein verarbeitet rund 40 Informationen pro Sekunde, das Unterbewusstsein dagegen 1,2 Millionen.

Das bedeutet: Die meisten Entscheidungen entstehen unbewusst. Unser rationales Denken erklärt sie im Nachhinein.


So entstehen auch implizite Vorurteile (Biases).

Neuroimaging-Studien zeigen, dass die Amygdala, das Angstzentrum unseres Gehirns, aktiver reagiert, wenn Menschen Gesichter sehen, die ihnen unbekannt sind, selbst wenn sie keine bewussten Vorurteile haben.

Diese Muster sind erlernt und damit auch veränderbar.


Warum weniger Denken manchmal klüger ist

Führungskräfte glauben oft, sie müssten jede Entscheidung bewusst durchdenken. Doch die Forschung zeigt:

Wenn wir Pausen einlegen und unser Unterbewusstsein „weiterarbeiten“ lassen, verbessern sich die Ergebnisse messbar.

Das Gehirn braucht Leerlauf, um Muster zu erkennen und kreative Lösungen zu entwickeln - ähnlich wie bei einem Computer, der im Hintergrund rechnet.


Über die Autorin

Dominique Giger ist Expertin für Leadership, Mindset und Transformation. Sie kombiniert einen Master of Science in Computer Science (ETH Zürich) mit über 18 Jahren Erfahrung in internationalem Transformation Management. Als Consultant, Coach und Speakerin liegt ihr Fokus auf Führung in unsicheren Zeiten, mentaler Stärke und gesunder Leistungsfähigkeit.

Sie ist Host des Podcasts „Menschlichkeit in Zeiten von KI“, in dem sie wissenschaftliche Erkenntnisse über das Gehirn in alltagstaugliche Leadership-Strategien übersetzt.


🎧 Diese Ausgabe basiert auf Folge #22: „Was Everest-Bergsteiger, Steve Jobs und Barack Obama gemeinsam haben - Was unser Gehirn wirklich steuert“


Quellenverzeichnis

  • Baumeister, R. F. et al. (1998). Ego Depletion: Is the Active Self a Limited Resource? Journal of Personality and Social Psychology

  • Dweck, C. et al. (2010). Willpower: It’s All in Your Head. Psychological Science

  • Gollwitzer, P. (1999). Implementation Intentions: Strong Effects of Simple Plans. American Psychologist

  • Rock, D. & Siegel, D. (2011). The Healthy Mind Platter. NeuroLeadership Journal

  • Phelps, E. A. et al. (2000). Performance on Indirect Measures of Race Evaluation Predicts Amygdala Activation. Journal of Cognitive Neuroscience

  • Dijksterhuis, A. (2006). The Unconscious Thought Theory. Science

 
 
 

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