Resilienz: Der unterschätzte Erfolgsfaktor
- Dominique Giger
- 22. Sept.
- 5 Min. Lesezeit

Schutzfaktoren, Denkfallen und evidenzbasierte Tools für nachhaltige Hochleistungskultur
Organisationen stehen unter permanentem Anpassungsdruck: Globale Krisen, Fachkräftemangel, digitale Disruption und steigende Erwartungen von Kundinnen und Mitarbeitenden lassen mühsam errichtete Strukturen brüchig erscheinen. Die Frage lautet: Wie gelingt es, inmitten eines solchen Einsturzes Halt zu finden – und das Kartenhaus nicht nur wieder aufzubauen, sondern stärker und stabiler als zuvor?
Die Antwort heisst Resilienz. Und sie ist weit mehr als ein psychologisches Schlagwort. Resilienz ist ein handfester Wettbewerbsfaktor, der entscheidet, ob Führungskräfte und Organisationen Krisen überstehen, Innovation ermöglichen und langfristig erfolgreich bleiben.
Warum Resilienz kein „Soft Skill“ ist
Resilienz wird oft mit Härte verwechselt: mit der Fähigkeit, Emotionen auszublenden oder immer „stark“ zu wirken. Doch Studien zeigen: Wer Gefühle verdrängt, riskiert Stressfolgen, Burnout und Fehlentscheidungen. Wahre Resilienz bedeutet nicht, Stress zu vermeiden, sondern konstruktiv damit umzugehen.
Eine nationale AXA-Studie zeigt, dass fast die Hälfte der Schweizer Bevölkerung regelmässig Stress empfindet, ein Drittel spürt starken Leistungsdruck, und psychisch bedingte Ausfälle betreffen bereits zwei Drittel aller KMU. Das Amt für Wirtschaft des Kantons Zürich schätzt die jährlichen Kosten durch psychische Erkrankungen und Absenzen auf über zwei Milliarden Franken. Solche Zahlen machen deutlich: Resilienz ist längst ein ökonomisches Thema.
Vier Schutzfaktoren, die Führungskräfte stärken
Resilienz lässt sich trainieren. Besonders vier Schutzfaktoren sind entscheidend:
1. Selbstwahrnehmung und Selbstregulation
Führung beginnt mit der Fähigkeit, die eigenen Reaktionen zu erkennen: Welche Gedanken entstehen unter Druck? Welche körperlichen Signale (Herzrasen, Enge) treten auf? Wer diese Signale früh erkennt, kann regulierend eingreifen: z. B. durch Atemtechniken, kurze Pausen oder bewusstes Delegieren. Studien zur psychologischen Gesundheit zeigen, dass Selbstwahrnehmung ein Schlüsselfaktor für langfristige Belastbarkeit ist.
2. Mentale Agilität
Mentale Agilität bedeutet, Perspektiven zu wechseln und mehrere Handlungsoptionen zu sehen. Statt sich an einem starren Plan festzuklammern, gilt es, flexibel zu reagieren. Forschung zu digitaler Führung zeigt: Leader mit hoher Agilität fördern Innovation und Anpassungsfähigkeit in Organisationen.
3. Realistischer Optimismus
Optimismus ohne Realitätscheck führt zu Fehleinschätzungen. Realistischer Optimismus ist die Fähigkeit, auch in schwierigen Situationen lösungsorientiert zu bleiben. Er richtet richtet den Blick auf beeinflussbare Faktoren und gibt Führungskräften damit Handlungsfreiheit zurück.
4. Selbstwirksamkeit
Selbstwirksamkeit ist die Überzeugung, dass eigenes Handeln Wirkung zeigt. Studien zeigen, dass Menschen mit höherer Selbstwirksamkeit resilienter auf Stress reagieren und eher konstruktive Schritte unternehmen.
Diese vier Schutzfaktoren bilden das Fundament. Doch im Alltag stehen Führungskräfte immer wieder Denkfallen im Weg, die Resilienz schwächen.
Die fünf klassischen Denkfallen
1. Mind Reading - Gedankenlesen
Wir glauben zu wissen, was andere über uns denken - meist negativ.
Beispiele: „Mein Chef hält mich für ungeeignet.“ oder „Sie respektiert mich nicht.“
Folge: Missverständnisse, Isolation, Konflikte.
Tool: Beweis-Prüfung
Annahmen aufschreiben
Beweise dafür und dagegen sammeln
Feedback einholen und durch konkrete Fragen Klarheit schaffen
Diese einfache Methode schafft Klarheit und löst falsche Überzeugungen auf.
2. Me Trap - Ich-Falle, und
3. Them Trap - Sie-Falle
In der Me Trap machen wir uns selbst für alles verantwortlich: „Alles ist meine Schuld.“
In der Them Trap geben wir konsequent anderen die Schuld: „Das Management ist unfähig.“
Folgen: Schuldgefühle, Selbstzweifel, Ärger, Stillstand.
Tool: Verantwortungs-Check
Externe Ursachen auflisten
Perspektivenwechsel üben: „Wie sähe eine neutrale Sicht aus?“
Klar definieren: „Das war mein Anteil. Das nicht.“
Der Verantwortungs-Check bringt Klarheit und verhindert sowohl Selbstüberlastung als auch Schuldzuweisungen.
4. Catastrophizing - Katastrophisieren
Das Kopfkino läuft: Worst Case.
Beispiel: „Ein Fehler, und ich verliere meinen Job.“
Folgen: Angst, Schlaflosigkeit, Blockade.
Tool: 3-Szenarien-Technik
Worst Case: Was wäre das Schlimmste?
Best Case: Was wäre das Beste?
Most Likely Case: Was ist am wahrscheinlichsten?
Einen Handlungsplan für den wahrscheinlichsten Fall entwickeln
Diese Technik nimmt Dramatik heraus und macht wieder handlungsfähig.
5. Helplessness - Hilflosigkeit
Das Gefühl, dass nichts mehr veränderbar ist.
Beispiele: „Es hat sowieso keinen Sinn.“ – „Ich werde mich nie ändern.“
Folgen: Resignation, Lähmung, Verlust von Motivation.
Tools: Grautöne-Methode und Positiv-Check
Grautöne-Methode (gegen Schwarz-Weiss-Denken):
Auf Wörter wie „immer“ oder „nie“ achten
Zwischenergebnisse finden
Realistisch zwischen 0 und 100 Prozent bewerten
Positiv-Check (gegen selektive Wahrnehmung):
Ein Erfolgstagebuch führen bzw. Erfolge festhalten
Ergebnisse in Relation setzen
Dankbarkeit praktizieren
Beide Ansätze schaffen Perspektive, stärken Selbstwirksamkeit und verhindern Resignation.
Die Tools im Detail erklärt
Die vorgestellten Methoden sind mehr als einfache Tricks – sie sind neuropsychologisch wirksam:
Beweis-Prüfung aktiviert den präfrontalen Kortex, der für rationale Analyse zuständig ist, und dämpft die Amygdala, die für Angstreaktionen verantwortlich ist
Verantwortungs-Check reduziert ungesunden Schuldstress und stärkt gleichzeitig Eigenverantwortung
3-Szenarien-Technik hilft, Katastrophenbilder zu relativieren und lösungsorientiert zu handeln
Grautöne-Methode und Positiv-Check bauen gezielt Optimismus auf. Nicht als Illusion, sondern als trainierbare Denkgewohnheit
Der ökonomische Nutzen
Resilienz ist messbar:
Laut AXA-Studie haben 64 Prozent der Schweizer KMU mit psychisch bedingten Ausfällen zu kämpfen
Der Kanton Zürich beziffert die jährlichen Kosten durch Absenzen aufgrund psychischer Erkrankungen auf über zwei Milliarden Franken
Internationale Studien wie das Penn Resilience Program belegen, dass Resilienztrainings depressive Symptome verringern und kognitive Flexibilität fördern
Organisationen, die Resilienz fördern, reduzieren nicht nur Kosten, sondern stärken Innovationskraft und Teamzusammenhalt.
Zusammenfassung
Resilienz ist kein Modewort. Sie entscheidet, ob Führungskräfte in Krisen blockieren oder ob sie gestärkt aus ihnen hervorgehen. Die fünf Denkfallen zeigen, wie leicht wir uns selbst blockieren. Die vorgestellten Tools liefern konkrete Wege, um Handlungsfähigkeit zurückzugewinnen.
Für Unternehmen ist Resilienz eine Investition in die Zukunft: weniger Ausfälle, mehr Innovationskraft, stärkere Teams. Und für Führungskräfte bedeutet sie vor allem eines: Halt zu finden, wenn das Kartenhaus einstürzt.
Über die Autorin
Dominique Giger ist Master of Science in Computer Science (ETH Zürich) und verfügt über mehr als 18 Jahre internationale Erfahrung im Transformations- und Change-Management. Sie verbindet tiefes technisches Fachwissen mit Erkenntnissen aus Neurowissenschaft und Psychologie.
Ihr Fokus liegt darauf, Führungskräfte und Teams zu befähigen, in Zeiten von Unsicherheit klar und fokussiert zu navigieren, kontinuierlich Verbesserungen umzusetzen, gestärkt aus Krisen hervorzugehen, mentale Stärke zu entwickeln und eine gesunde, leistungsfähige Unternehmenskultur aufzubauen.
Dominique arbeitet sowohl mit KMU als auch mit internationalen Unternehmen, führt Workshops durch und hält Keynotes zu Themen wie Resilienz, Leadership, Teamtransformation und gesunder Hochleistungskultur.
Ihr Alleinstellungsmerkmal: die einzigartige Verbindung aus technischer Fachkompetenz, langjähriger praktischer Transformationserfahrung und wissenschaftlich fundierten Erkenntnissen über menschliches Verhalten und Resilienz.
Mehr zum Thema - Podcast-Episode
Diese Gedanken vertieft Dominique Giger auch in ihrer aktuellen Podcast-Folge „Resilienz: Wie Du Halt findest, wenn Dein Kartenhaus einstürzt“.
Direkt anhören auf:
Quellenverzeichnis
AXA Schweiz (2022): Mind Health Report. Medienmitteilung, 25. Januar 2022
AXA Schweiz (2023): KMU-Studie: 64 Prozent aller KMU sind von psychisch bedingten Ausfällen betroffen
Amt für Wirtschaft Kanton Zürich (2025): Arbeit und Gesundheit im Wandel. Medienmitteilung, Juni 2025
TellMed (2023): Stress-Studie: Schweizer Arbeitnehmer zunehmend gestresst
Huang & Kou, Frontiers in Psychology (2025): Learning agility, self-efficacy and resilience
Albannai, A. et al. (2024): Digital leadership and its impact on agility and resilience in organisations
Penn Positive Psychology Center (2024): Penn Resilience Program (PRP). University of Pennsylvania







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